In der Hierarchie der
dämlichsten Entscheidungen meines Lebens thronte jahrelang jener
verhängnisvolle Kauf eines HD-DVD-Players für 350 Euro (gefühlte 1000 Jahre Taschengeld)
an der Spitze, den ich mit den wohl etwas überheblichen Worten „Blu-Ray setzt
sich niemals durch, ihr Wichser“ kommentierte. Im letzten Jahr erfolgte
schließlich doch noch die nicht mehr für möglich gehaltene Wachablösung: „Halbmarathon?
Gebt mir drei Wochen Training und ne Packung Traubenzucker…“
Die Strecke
Ein Rundkurs. Rundkurse
sind eine einzige Metapher für die Sinnlosigkeit des Laufsports. Erst gestern
habe ich unseren hamsterradelnden Hamster ob seiner grenzdebilen Tätigkeit als „Opfer“ bezeichnet, schon heute begebe ich
mich selbst in ein Hamsterrad. Wenn jetzt irgendjemand still und heimlich an
seinem PC sitzt und vor sich selbst behauptet, der Weg sei das Ziel, so möge er
an dieser Floskel ersticken. Es besteht kein Zweifel daran, dass bei
Volksläufen das Ziel das Ziel ist und der Weg ein lustiges Stelldichein aus Schweiß,
Schmerz und Selbsthass.
In Paderborn haben sich
die Veranstalter übrigens ein besonderes Bonbon ausgedacht: Der Rundkurs wird
zweimal durchlaufen.
30 Minuten vor dem
Start
Ich trage ein weißes T-Shirt und eine kurze Hose. Was die
anderen tragen:
Frisur
riesige
Kopfhörer,
Buff-Tuch
B
U
F
F
pinkes
Kinesiotape,
schlangenhautenges,
quietschbuntes
Funktionsshirt mit der brüllend komischen
Aufschrift
„Früher fuhr ich BMW, heut tun mir die Füße
weh“,
die zu einem spontanen Roundhouse-Kick einlädt,
Gürtel mit
fünfundvierzig Mana-Tränken
schlangen- (sag ich nicht) schlangen-
hautenge, hautenge,
atmungs-
atmungs-
aktive
aktive
Lauf- Lauf-
hose
hose
quietschbunte Laufschuhe
quietschbunte Laufschuhe
(Anmerkung: Die Arme sind hinter dem Rücken verschränkt.)
Ich fühle mich farblos und unprofessionell, komme
aber nicht umhin, das Folgende anzumerken: Einige Läufer befinden sich in einem
körperlichen Stadium, das sie dringend davon abhalten sollte, schlangenhautenge
Laufhosen und -shirts zu tragen. Tut es aber nicht. Würde ist ein häufig
unterschätztes Gut!
Um den diskriminierenden Charakter dieser
Anmerkung abzuschwächen, sei darauf hingewiesen, dass auch der gute alte Chuck
sein Fritten-Kreuz zu tragen hat, jedoch zum Schutze seiner Selbst und aller
anderen auf eine hervorhebende Zurschaustellung aller natürlichen und
unnatürlichen Rundungen seines Körpers verzichtet.
5 Minuten vor dem Start
1. Ich muss mich dehnen.
2. Ich muss Pipi. Mindestens.
3. Das gilt außer für mich noch für die folgenden anderen
Starter: Alle.
Aus den Punkten 1-3 ergibt sich ein Szenario, dass man nur
mit deutlicher Untertreibung als unangenehm bezeichnen kann: Etwa 1000 Läufer
drängen sich um die beiden (!) Dixi-Klos, die der Veranstalter unter Aufwendung
sämtlicher Startgebühren aufgestellt hat und wünschen sich innerlich die sanitären
Anlagen vom letzten Tag „Rock am Ring“ herbei.
Nach eiliger Entledigung von
überflüssigem Ballast verlassen erleichtert dreinblickende Läufer das
waschbeckenlose Örtchen und beginnen mit dem Dehnvorgang, wobei sie sich unter
Missachtung jeder westlich-zivilisierten Distanz an der Schulter völlig fremder
Mitläufer festhalten. Zum Beispiel an meiner.
Startschuss
Es geht los. Es könnte losgehen. Es geht ein
Scheiß. Es ist einfach zu voll. Es ist zu voll.
Trotzdem beginnen einige besonders motivierte
Spitzenläufer sofort mit groß angelegten Überholmanövern. Das ist allzu
verständlich, denn zwischen den Plätzen 700 und 3800 zählt jede Sekunde. Nach
dem ersten Kilometer verteilt sich das Feld allmählich und auch der Geruch nach
Pferdesalbe lässt sukzessive nach.
Ich werde
von einem Typen im Hasenkostüm überholt. Witzig. Wann hat die Welt endlich
verstanden, dass Hasen-, Affen- und Schweinekostüme weder zu
Junggesellenabschieden, noch zu irgendwelchen anderen Anlässen witzig oder gar
originell sind? Ich hänge mich an seine Fersen. Der Gedanke,
ihm sofort nach Zieleinlauf einen zünftigen Schwinger zu verpassen, motiviert
ungemein und lässt mich schneller laufen.
Kilometer 4
Wo man auch hinschaut, nehmen Läufer
Paracetamol-Tabletten. Sie wollen den Schmerz nicht spüren. Aber warum zur Hölle
melden sie sich dann bei einem (Halb-)Marathon an?
Kilometer 10
Warum zur Hölle melde ich mich bei einem
(Halb-)Marathon an?
Kilometer 12
Der Typ im Hasenkostüm hat sich direkt vor mir
langgelegt und ich nutze die unübersichtliche Situation für eine scheinbar
zufällige Backpfeife.
Kilometer 15
Ich kann diese bescheuerten klatschenden Menschen
am Straßenrand nicht mehr sehen. Von welcher geistigen Umnachtung muss man
heimgesucht sein, wenn man sich vier Stunden an den Straßenrand stellt und die
Finger wund klatscht, als hätte man sich fünfundvierzig 1000-Volt-Duracell Batterien
in den Arsch gesteckt, nur damit man den einen Moment nicht verpasst, in dem
man dem schniefenden und schwitzenden Klaus, „dem schnellsten Papa der Welt“
ein selbstgemaltes Plakat vor die blutleeren Augen halten kann.
Wenn ich einmal Kinder habe, werde ich ihnen
folgendes mit auf den Weg geben: Behaltet eure Selbstachtung.
Kilometer 20
Noch ein Kilometer. Ich bin am Ende. Ich werde zum
wiederholten Mal von Menschen überholt, die ungefähr 200 Jahre alt sind. Sie
sind offensichtlich in einer Zeit aufgewachsen, in der man noch dann und wann
vor diesem oder jenem fliehen musste. Mein Laufstil ähnelt zunehmend dem eines brünstigen
Berggorillas, meine Lippen kleben zusammen und meine Moral ist auf HSV-Level
abgesunken. Beim Versuch, das Siegerlächeln für den Zieleinlauf zu trainieren,
erleide ich mehrere Ermüdungsbrüche in den Wangenknochen.
Ziel
Ich taumele über die Ziellinie, wo ein Typ im
Hasenkostüm auf mich wartet und mir einen Schwinger verpasst, den ich meinen
Lebtag nicht vergessen werde. Langsam schleppe ich mich zur Ziel-Verpflegung
und bestelle ein Bier. Es ist alkoholfrei. Ich packe den Studenten hinter der
Theke an den Haaren, schleife ihn durch die „Finisher-Lounge“ und brülle in
guter alter Walter-Manier: „Warst du in Vietnam? WARST DU IN VIETNAM?“
Es ist das erste Mal an diesem Tag, dass ich mich
richtig gut fühle.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen