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Zwiegespräch - Würdest du dich zuhause genauso benehmen?



Mein Name ist Chuck und ich bin zu zweit,
bin wie Doktor Jekyll und Mister Hyde,
bin gleichzeitig Engel und Axt im Wald,
du glaubst mich zu kennen? Das ändert sich bald.

Es ist Sonntagmorgen. Ich wache auf und habe einige Fragen. An mich selbst. 
Eine kleine Auswahl: Wer warst du gestern? Wo war ich? Was zum Teufel war nochmal Anstand?

Es sind die üblichen Stimmen, die mir antworten. Sie antworten gleichzeitig, werden lauter, brüllen sich gegenseitig an, steigern sich zu namenlosen Kopfschmerzen, lassen mich wirr daherreden, in die Decke eingezurrt  ziellos durch mein Zimmer irren, mein verzerrtes Spiegelbild anknurren, brusthaarraufend aus dem Fenster starren, terriererregt an der Türe scharren

Chuck, hast du wieder Klebstoff in den Inhalator gepackt?, fragt mein besorgt dreinblickender Mitbewohner und hilft mir, von meinem wankenden Kleiderschrank zu steigen. Nein, alles ok, lüge ich, befreie unseren verstörten Wellensittich aus meinen Boxershorts und setze ihn unter gutem Zureden zurück in seinen Käfig. Ich hab nur schlecht geträumt. 
Obgleich ihn diese Antwort nicht völlig beruhigt zu haben scheint, verlässt mein Mitbewohner das Zimmer und ich bin mit meinen Dämonen alleine. Wieder geistern mir unangenehme Fragen durch den Kopf, doch endlich rufe ich mich erfolgreich zur Ordnung: Eine Stimme nach der anderen, sage ich zu mir selbst und ich fange an."

Kurzer Einschub eines auktorial angehauchten Erzählers
Da sitzt er nun, unser Chuck und lässt seine Identitäten diskutieren. Es ist ein bemitleidenswertes Schauspiel: Zu seiner Linken ein vollgestopftes, mit gelehrigem Allerlei ausgestattetes Bücherregal, zu seiner Rechten ein unheilvolles Durcheinander aus Schals, Fahnen, Hoodies und Feuerwerkskörpern. Chuck selbst wirkt in der Mitte wie der buridanische Esel, der zwischen zwei gleichgroßen Heuhaufen verhungert, weil er sich nicht für einen entscheiden kann. Unter seinem Bett befindet sich übrigens eine unangetastete Packung Kondome. Man weiß ja nie. Ok, eigentlich weiß man es doch aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlichund so weiter.
Nun gut, Chuck sitzt also dort und führt ein konspirativ anmutendes Selbstgespräch. Mal schaut er grimmig nach links, mal beschwichtigend nach rechts. Zu unserem Glück redet er so laut, dass wir heimlich mithören können:      

Chuck
Wirich meine ichbin ein guter Mensch. Ich streichele sogar die fetten Katzen, plaudere freundlich mit den Nachbarn, trenne den Müll und vermeide es, bei amazon zu bestellen. Und gute Menschen benehmen sich. Weder äußern sie sich lauthals zu den sexuellen Vorlieben des Schiedsrichters, noch äußern sie sich lauthals zu den sexuellen Vorlieben der gegnerischen Fans. Ganz besonders verzichten gute Menschen übrigens auf jede Form unangebrachter Gewalt gegen Sachen und Personen.
Aristoteles ruft in seiner Nikomachischen Ethik dazu auf, stets die Mitte zwischen Mangel und Übermaß zu finden. Dies, so Aristoteles, sei der einzige Weg, Glückseligkeit zu erlangen und zur Glückseligkeit habe ich nur eine Meinung: Dufte!
 In meinem Fall aber ist  die Tugend der Besonnenheit ein wenig aus dem Gleichgewicht geraten, indem sie an Spieltagen eindeutig Richtung Impulsivität ausschlägt. Und Impulsivität verträgt sich nun mal nicht mit Glückseligkeit. Also: Ab sofort benehmen wir uns! 

LeChuck
Aristoteles? Wenn ich an diesen Quatsch nur denke, würde ich unseren Kopf am liebsten gegen ne Wand kloppen. Glückseligkeit ist doch viel einfacher: Jubelt die Kurve, jubelt Chuck. Pöbelt die Kurve, pöbelt Chuck. Dazu Bier und ich quille über vor Glückseligkeit! Also: Scheiß drauf!

Chuck
Klar, ein Soziologe würde diesen kollektiv angebahnetn Jubel als Folge meiner  Vergemeinschaftung bezeichnen: Die Anhänger eines Clubs treten wenigstens an Spieltagen als eine Gemeinschaft auf, die sich ganz bewusst von anderen Fan-Gemeinschaften abgrenzt. Wenn nun einige tausend Fans wie aus einer Kehle den Schiedsrichter beschimpfen, so fühlt sich auch der gute alte Chuck zum Mitbrüllen berufen. Das ist so menschlich wie gruselig. Die Kehrseite ist jedoch, dass aus diesem Miteinander gleichsam ein kollektives Gegeneinander, ein Wir-gegen-die-anderen wird. Die Folgen für meine gute Kinderstube sind bekannt. Apropos Stube: Seit diesem blöden Vorfall ist das mit dem "Wir" ja so eine Sache...

LeChuck
Vergemeinschaftung klingt klasse. Wenn ich das für mich übersetze, bedeutet es, dass ich selbst in meinen allerasozialsten Momenten noch ein durch und durch soziales Wesen bleibe. Als ich damals diesen Typen aus der verbotenen Stadt bespuckt habe, hätte ich ihm danach einfach auf die Schulter klopfen und sagen können: "Alles easy Kollege. Ich bin einfach nur ziemlich derbe vergemeinschaftet." Er hätte wahrscheinlich vollstes Verständnis für mein Verhalten geäußert.

Chuck
So einfach ist das nicht. Immerhin leben wir ja trotz allem noch in einer übergeordneten Gemeinschaft, nämlich der Gesellschaft. Die gibt aber es sieben Tage in der Woche und wenn ich dort ausgestoßen werde, bin ich sechs Tage ziemlich einsam.

LeChuck
Was solls? Lieber ein Ausgestoßener, als ein hochehrwürdiger Vollspast!

Chuck
Genug! Ganz offensichtlich ist mir mit den guten alten Wissenschaften nicht beizukommen. So bleibt mal wieder nur das Argument mit meinem Bankkonto: Seit meinem Stadionverbot sind die wöchentlichen Ausraster einfach zu kostspielig geworden. Ich kann mir nicht jede Woche eine neue Einrichtung leisten...

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