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Neues vom Taugenichts



„Ich war wie betrunken von Freude und von dem Rumor und rannte in meiner Fröhlichkeit immer gerade fort, bis ich zuletzt gar nicht mehr wusste, wo ich stand.“

              - Aus Joseph von Eichendorffs Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“. –
„Ich war betrunken.“
                           - Aus Chucks Aussage auf dem Polizeirevier – 

Prolog
„Der ist nicht tot, der ist nur verreist“, hatte der wohlmeinende Fahrer des 7 ½-Tonners meine Schwester noch zu trösten versucht, doch die Reifenspuren auf unserem Hamster Ulrich sahen nicht nach Urlaub aus. Ich hatte ihn lehren wollen, selbstständig eine Bundesstraße zu überqueren, doch ihm fehlten die Reflexe.
   
Kinder
Ich habe es geliebt, Kind zu sein. Als Kind wird der ganze Scheiß, den man so macht, allein durch das geringe Alter legitimiert. Drückt ein Vierjähriger der üppigen Nachbarin mit schelmischem Grinsen und schrillem Hupgeräusch den Busen, so wird das gemeinhin mit einem, schlimmstenfalls etwas peinlich berührten Lachen und bestenfalls mit einer innigen Umarmung quittiert. Ein 25-jähriger macht sich mit demselben Vorgehen zu einer persona non grata in der Nachbarschaft. Wenn er Glück hat. Deshalb muss man diese Narrenfreiheit so lange ausnutzen wie möglich. Schließlich würde niemand behaupten, Kinder wären Asis, nur weil sie sich so benehmen. Kinder sind die Zukunft, da kannst du jeden fragen. Und zwar genau so lange, bis sie da ist. Also die Zukunft. Dann sind die Kinder überraschenderweise erwachsen und werden für ihren Scheiß zur Verantwortung gezogen. So wie ich. Die Welt ist schlecht.

Der verpasste Moment
Eine der größten Herausforderungen der Übergangszeit zwischen Kleinkind und Jugendlichem ist es, eben jenen Zeitpunkt abzupassen, ab dem ein Bäuerchen im Restaurant nicht mehr komisch, sondern unanständig ist. Ich habe diesen Zeitpunkt verpasst. Bis heute. Vielleicht war es der Tag, an dem mein Vater mich zum ersten Male einen Taugenichts schalt. Es war Ulrichs Todestag. Damals war ich fast ein wenig stolz, schließlich hatte mein Vater nachsichtig gelächelt und außerdem las unser großer Bruder gerade ein Buch mit einem ebenso bezeichneten Protagonisten. Wer für die fahrlässige Tötung eines Haustiers nach dem Helden einer Schullektüre benannt wird, hält sich für unsterblich. Also ließ ich mich nicht beirren und pflegte meine Unbekümmertheit, wie Tim Wiese seinen 3er BMW. Was hätte ich auch sonst pflegen sollen? Meine Puch? 

Sucht
Netter Nebeneffekt meines infantilen Wesens war, dass ich stets im Mittelpunkt stand. Sei es aus Verwunderung, weil ich mir von meinem ersten Gehalt eine Super Soaker kaufte, sei es aus Mitleid, weil ich die Wasserpistole auch bei meinem ersten Date bei mir trug oder sei es aus Ekel, weil ich in der Mittagspause, statt in die Kantine zu gehen, Phantasiesuppen im Sandkasten der hausinternen Kita kochte. Und aß. Im Mittelpunkt zu stehen ist klasse. Es macht süchtig. Doch wie bei jeder Sucht gibt es da ein kleines Problem: Hat sich das Umfeld erst einmal an deine Zirkusvorstellungen gewöhnt, musst du die Dosis erhöhen, sonst wirst du uninteressant.  Also erhöhte ich die Dosis. Ich beschmierte Chefchens Kaffeetasse mit Alleskleber und rief „alle Vöglein fliegen hoch“, als er sie anfasste. Ich imitierte Furzgeräusche in Dienstbesprechungen und zeichnete an jeder erdenklichen Stelle riesige Penisse (Anm. in eigener Sache: Penisse zu zeichnen ist witzig. Da könnt ihr mir erzählen, was ihr wollt). Mit der Zeit aber traf ich immer seltener den Humor meines Chefs, bis ich eines Tages die Firma verlassen musste.     

Der einsame Clown
Ohne Job und ohne Freunde brauchte ich ein neues Publikum, denn nichts ist trauriger, als ein Clown ohne Applaus. Doch wer nicht besonders anspruchsvoll ist, findet schnell neue Freunde. Schließlich war ich es gewohnt, mich mit absurden Albernheiten anzubiedern. Der Humor meiner neuen Freunde aber zwang mich immer tiefer in den Sumpf der Würdelosigkeit. Nun pinkelte ich in öffentliche Verkehrsmittel oder bewarf die Anderen mit Hundescheiße. Zunehmend ignorierte ich auch meine ursprüngliche Maxime, niemanden zu verletzen, außer mich selbst.

Knalleffekte
Heute bin ich an einem Punkt angelangt, an dem es mir völlig egal ist, wie ich meinen Hunger nach Aufmerksamkeit stille. Hauptsache ich werde irgendwie satt. Jetzt sitze ich schon seit zwei Stunden auf meinem Platz und verfolge desinteressiert das Geschehen. Ich bin betrunken und verliere langsam die Geduld. Endlich bietet sich eine Gelegenheit. Mit einem Grinsen stehe ich auf, ziehe die Kapuze bis zur Nase herunter und  fummele den rektal eingeführten Böller hervor. Ich zünde ihn an und werfe ihn direkt vor die Füße des Bielefelder Stürmers.  Oder ist es ein Dresdener? Völlig egal, denn das hier ist mein Auftritt.



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