Die Vorgeschichte zu Kafkas "Verwandlung"
Ich zitiere aus meiner Amazon-Bestellhistorie:
- Darth Vader-Wackelfigur (mittelgroß, wackelnd)
- Blogging für Dummies
-
Karaoke Komplett-Set
(Mallorca-Edition)
-
lebensgroßer T-Rex in Angriffshaltung
- Peter
Zwegat: Raus aus der Schuldenfalle!
Für all das habe ich nicht ein einziges
Mal das Haus verlassen. Mittlerweile ist mein Zimmer so voll, dass sich dort neulich der
folgende Dialog zweier Stubenfliegen ereignete:
Kleine
Stubenfliege: Mami, darf ich
hier das Fliegen lernen?
Mutter der
kleinen Stubenfliege: Nein.
Bezeichnend.
Ich brauche sofort mehr Platz und tippe bei Amazon
"Zusatzzimmer" ins Suchfeld ein. Vier Treffer. Ich klicke auf den
ersten Treffer und lese eine Kundenrezension:
Die geräumigen 15
m2 können problemlos
an einer stabilen Fensterbank befestigt werden. Mit Teppich auf dem Boden und
Familienfoto an der Wand (beides separat erhältlich) wird es sofort gemütlich.
Achtung: Bei starkem Wind kann es vorkommen,
dass sich das Zimmer von der Fensterbank löst. Muss dann aufgeräumt werden.
3/5 Sterne
Ich bestelle das Zimmer, einen Teppich und ein willkürlich ausgewähltes Familienfoto. Acht Stunden später klingelt es an der
Tür. Ich schaue aus dem Fenster und sehe den Postboten. An einer kurzen Leine
führt er ein Nashorn mit sich. Das Nashorn trägt mein Paket und scheint
ziemlich sauer zu sein.
"Ruhig Hannibal", ruft der
Postbote immerzu, "ganz ruhig".
Mit dem grenzenlosen Selbstbewusstsein
eines Prime-Kunden drücke ich auf die Gegensprechanlage und sage:
„Achter Stock.“
Unter mächtigem Gepolter kämpfen sich
Nashorn und Postbote durch das Treppenhaus. Ich filme das Spektakel und poste
es bei Facebook. Keine Likes. Ist wohl zu alltäglich. Oben angekommen baut sich
das Nashorn bedrohlich vor mir auf.
Nashorn: Wenn ich Sie eines Tages auf der Straße treffe,
töte ich Sie. Sie werden mich nicht kommen hören. Plötzlich bin ich da und Sie
sind tot. Ich schwöre.
Ich: Sie sind ein Nashorn. Nashörner sind riesig,
die können sich nicht anschleichen.
Nashorn: Ich werde Pantoffeln tragen.
"Wenn Sie dann bitte endlich
unterschreiben würden", unterbricht der ungeduldige Postbote unser kleines
tête-à-tête und hält mir einen elektronischen Unterschriftenapparat hin. Ich
unterzeichne mit "Carlo der Zoowärter" und zwinkere dem Nashorn
provokant zu.
"Wichser", sagt das Nashorn.
"Sie müssen mit Ihrem richtigen
Namen unterschreiben", sagt der Postbote.
Ich tue, wie mir geheißen und meine neuen
Freunde ziehen weiter. Wieder alleine hänge ich mein neues Zimmer an die
Fensterbank. Gefällt mir nicht. Ich logge mich bei Amazon ein und wähle die
Option "Rücksendung von der Post abholen lassen".
Am nächsten Morgen klingelt es an der
Tür. Zwei Mal. Ich schaue nach draußen und sehe den Postboten. Und das Nashorn.
Es trägt Pantoffeln. Ich drücke auf die Gegensprechanlage und sage:
"Wenn der Postbote vorher klingelt,
nützen die Pantoffeln nichts."
Am Gesichtsausdruck des Nashorns erkenne
ich, dass es mir innerlich Recht geben muss. Es scharrt mit den Hufen, schnaubt
und zeichnet mit seinem Horn Totenköpfe in die Luft. Unter diesen Umständen
halte ich eine direkte Begegnung für keine gute Idee und wuchte das Paket aus
dem Fenster.
Das Zimmer hängt jetzt am Horn und ein
zufällig vorbeikommender GEZ-Mitarbeiter fordert die ausstehenden
Rundfunkgebühren ein.
"Die Gebühren werden jetzt pro
Haushalt und nicht nach Empfangsgeräten erhoben", weist er die Proteste
des Nashorns zurück.
Mein Mitbewohner, der dem Schauspiel
bisher kommentarlos beigewohnt hat, wirkt zunehmend besorgt und zitiert einen
Wikipedia-Artikel über Nashörner:
"Ein Nashorn läuft überdies bis zu 45 km/h (12,5 m/s) schnell und
übertrifft damit knapp menschliche Spitzensportler. Die afrikanischen
Nashornarten, setzen ihre häufig wesentlich längeren Hörner – vor allem das Nasalhorn – neben Drohgebärden auch aktiv als Waffe ein, um
damit den Gegner mittels Aufspießens zu schwächen."
Ich linse ein weiteres Mal durch den
Türspion. Das Nashorn hat Anlauf genommen und nimmt nun Kurs auf unsere ohnehin
etwas marode Haustür. Der Postbote weht an der Leine hinter ihm her und wirkt
in seiner gelben Tracht wie ein Autofähnchen der brasilianischen
Nationalmannschaft. Wenige Augenblicke später steht das Nashorn neben mir im
Flur. Es trägt jetzt eine Robe und hält sein Schlussplädoyer:
"Als wir noch im Zoo lebten, pflegte
mein Vater zu sagen, die Hölle, das seien die anderen Nashörner. Seit ich bei
der Post bin, sehe ich das ein bisschen anders: Die Hölle, das sind die
Homeshopper!"
Dann nimmt es mich aufs Horn und schleudert
mich aus dem Fenster. Am nächsten Morgen wache ich auf und bin ein Käfer.
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